Sehr guter Text von Diedrich Diederichsen über Adornos Verachtung von Jazz und Pop.






also ich kann mit diesem soziologengewölle absolut gar nix anfangen. irgendwie ist das verhältnis reich-ranicki zur gegenwartsliteratur umgekehrt proportional zu diederichsen's verhältnis zur pop musik. während reich-ranicki die ernste literatur popularisiert, theoretisiert diederichsen die pop musik. mrr ist zwar auch nicht mein fall, aber den typ versteh ich wenigstens. außerdem hört sich der diederichsen manchmal ziemlich scheiße an. hier z.b. etwa so wie im heidegger oberseminar (die frage sollte er sich glaube ich selber mal stellen):

Warum aber betreibt jemand, der in der Immanenz der Musik so glücklich ist und auch so sicher, in ihr, der Welt des Nichtidentischen, dem nicht von Begriffs- und Identitätslogik geknechteten Anderen so nahe zu sein, ausgerechnet und überaus ausgiebig Musiksoziologie?


erstens ist nicht alles, was man nicht versteht, nur deswegen gewölle oder scheiße, weil man es nicht versteht; es könnte ja auch einem selbst liegen, dass man etwas nicht versteht, und vielleicht wäre es - auch für einen selbst - mitunter eine fruchtbarere haltung, sich und andere zu fragen, was denn da nun gesagt wurde, und möglicherweise würde man es sogar erklärt bekommen. womit ich nicht das geringste gegen popularisatoren oder verständlichkeit gesagt haben will (es sei denn, sie ist so hohl wie meistens die von mrr).

zweitens ist das nicht heidegger-oberseminar, sondern adorno-proseminar. wogegen man, finde ich, in einem text, der immerhin von adorno und seiner musiksoziologie handelt, nicht ernstlich etwas einwenden kann.

und weil ich ein freundlicher mensch bin, der wissbegierde überaus schätzt, sage ich Dir noch ungefähr, was DD mit diesem Satz gesagt hat:

Adorno war jemand, für den bestimmte Musik (zum Beispiel die späten Streichquartette Beethovens oder bestimmte Webern-Kompositionen) eine Art Gegen-Modell der Gesellschaft gewesen ist (von der Adorno eine bestimmte Theorie hatte, über die wir hier nicht reden müssen; diese Theorie hat jedenfalls mit dem Zwang der "Identität" zu tun...). Man könnte auch sagen: Bestimmte Musik war für Adorno ein Modell der Freiheit, der innerweltlichen Erlösung usw. Und deswegen ist Adorno in der Musik "glücklich" gewesen. Wie, fragt DD nun, kommt jemand, für den und für dessen Denken das alles gilt, nun dazu, so viel Musiksoziologie zu betreiben, sich also nicht mit der Musik selbst, den Werken, zu befassen, sondern den Effekten der Gesellschaft, des Betriebs, der Produktionsweise usw. auf die Musik?

So ungefähr. Nichts zu danken.


danke für die erklärung. es ging mir aber mehr um den stil. der textauszug hört sich scheiße an weil der ausdruck "immanenz der musik" so was von gestelzt ist, dass es weh tut. warum nicht einfach "reine musik" oder so was ähnliches? zudem frage ich mich wirklich was der einschub "in ihr" soll, der den satz nur unnötig kompliziert und fast grammatikalisch falsch macht. hier werden relativ triviale gedanken und ideen aufgeplustert durch einen insiderjargon und um die ecke denken. wieso schreibt er nicht einfach: warum untersucht jemand die wechselwirkung von gesellschaft und musik, den die musik alleine schon glücklich macht?


immanenz, in ihr.

Immanenz: Ziemlich wichtiger Begriff in Adorno-Texten. Warum man in einem Text über Adorno-Texte Adorno-Begriffe nicht verwenden dürfen sollte, müsstest Du erklären. DD hat ja nicht den Anspruch, eine Einführung zu geben. Wie gesagt, gegen Einführungen und Popularisierungen hat niemand etwas. Du musst aber einem Text, der das nicht sein will, nicht vorhalten, dass er nicht ist, was er nicht sein will. Vielleicht der taz, dass sie - Tageszeitung, Massenware - einen Text druckt, der möglicherweise von vielen Lesern nicht verstanden werden kann.

"Warum aber betreibt jemand, der in der Immanenz der Musik so glücklich ist und auch

so sicher, in ihr (der Musik), der Welt des Nichtidentischen (Erläuterung dessen, was für Adorno Musik ist), dem nicht von Begriffs- und Identitätslogik geknechteten Anderen (Erläuterung dessen, was "Welt des Nichtidentischen" bedeutet) so nahe zu sein,

ausgerechnet und überaus ausgiebig Musiksoziologie?"

Adorno ist also in der Musik erstens glücklich. Und zweitens in ihr sicher, dem Nichtidentischen nahe zu sein.

Alles ganz vernünftig gebaut und um keine Ecke gedacht. Ob das auch elegant gesagt wird, ist eine andere Frage.

Und ein trivialer Gedanke ist das auch nicht: Es liegt doch nicht nahe, dass jemand, der Glück in der Musik findet, darüber nachdenkt, wie dieses Glück mit der Gesellschaft, die ihn erklärtermaßen unglücklich macht, zusammenhängt.


ja, aber Syntax und Semantik knarschen etwas. Und da liegt dann immer der Verdacht nahe, dass soetwas verdunkeln soll. Fällt mir immer wieder auf, wenn ich mal, so selten das geschieht, auf Deutsch geschriebene (wissenschaftliche) Artikel lese. Nach Ihrer Interpretation übrigens ist die eigentliche Kernaussage, dass Adorno in der Musik der Musik nahe ist. Alles weitere sind Definitionen, für die man auch mal nen eigenen Satz springen lassen könnte. Das ist hier aber nur eine Frage der Dekodierbarkeit, der Gedanke ist in der Tat interessant.


der größte witz an dieser frage ist ja die antwort, die dd anschließend mitliefert: Nun, weil auch für Adorno das Glück der Musik nicht vollständig ist, wenn man es ganz allein genießen muss.

so überzeugend und schlagfertig sich diese antwort anhört, sie geht doch völlig an der frage vorbei, sie steht sogar im widerspruch zu ihr.

die frage war warum adorno musiksoziologie betreibt, wenn er doch so glücklich in der immanenz der musik ist. die antwort soll nun sein, dass er doch nicht so glücklich ist, dass das glück noch größer ist, wenn er es mit anderen teilt. ja wat denn nu? entweder ist adorno in dieser verdammten musikimmanenz glücklich oder nicht. wenn er noch nicht restlos glücklich ist, dann ist die frage falsch gestellt, falls doch, dann ist die antwort humbug. einen tod muss dd hier sterben, sorry.


aber aber, herr alex, warum sind Sie denn immer so schnell mit dem todeswunsch? die musik, ein gegen-modell zur gesellschaft. adorno, ein gesellschaftskritiker. was läge näher für einen, dem das wohlergehen der menschen, die in dieser gesellschaft zu leben haben, am herzen liegt, als ihnen zu wünschen, sie könnten erstens vom glück der musik etwas haben und zweitens mit dieser glückserfahrung in die gesellschaft zurückkehren und sie so verändern, dass in ihr das glück möglich wäre, das in die kunst ausgewandert ist? wovon dd da spricht - adorno einfach nur wiedergebend und gar nicht besonders interpretierend - ist der merkwürdige umstand, dass kunst "frei" (autonom, utopisch usw) ist, in einer nicht besonders freien gesellschaft mit nicht besonders freien individuen. einer, der über kunst nachdenkt, kann, vulgär gesagt, auf die gesellschaft scheißen. oder er kann versuchen, die erfahrungen, die er in, an der und durch die kunst gemacht hat, möglicherweise der gesellschaft, genauer denen, die in und an ihr zu leiden haben, irgendwie zurückzugeben. ich glaube, zu adornos zeiten nannte man das engagement. ich weiß, das ist eine aus der mode gekommene haltung. ich bin mir nicht so sicher, ob das gegen adorno spricht.

und, übrigens: auf die "ja wat denn nus" lässt sich recht wenig im leben reduzieren. es sei denn, man tut ihm mehr gewalt an, als ihm gut tut.


@der:

"in der musik der musik nahe sein" ist eine tautologie. "in der musik der welt des nichtidentischen nahe sein" ist etwas anderes als eine tautologie. "erläuterung" ist etwas anderes als ein ist-gleich-zeichen. und nicht jedes "ist" ist ein ist-gleich-zeichen. vielleicht ist "in der musik der musik nahe sein" aber auch keine tautologie, fällt mir gerade auf; ich kann mir zum beispiel nicht gut vorstellen, dass leute, die sarah connor nahe sind, der musik nahe sind.


mit dieser glückserfahrung in die gesellschaft zurückkehren und sie so verändern, dass in ihr das glück möglich wäre, das in die kunst ausgewandert ist? das hört sich phantastisch an. ich glaube, das kann man ruhig als utopie bezeichnen. ich habe ja von adorno, horkheimer, der kritischen theorie, marcuse und bloch nicht die geringste ahnung, aber sympathisch waren mir die 68er und ihre vordenker intuitiv eigentlich schon immer und so wie du das hier formulierst, werden sie noch sympathischer. bloß leider ist das doch wohl eher ein traum gewesen. inzwischen scheint mir das glück allerdings auch aus der kunst ausgewandert zu sein..


@praschl

Kann es für Adorno in der Welt des Nicht-Identischen etwas geben, dass von der Identitätslogik geknechtet ist? Wenn nicht, schrappt die Behauptung, dass man in der Welt des Nicht-Identischen dem nicht von Begriffs- und Identitätslogik geknechteten Anderen nahe ist, schon hart an einer analytischen Wahrheit vorbei, und ist dazu noch etwas krumm in den räumlichen Metaphern ("in" und "nahe"). Ich finde, je ausladender die Bilder werden (Welt der .., das Andere, etc.), desto mehr sollte man sich darum bemühen, wenigstens die logische Struktur seiner Sätze klar zu halten. Aber ich will Sie hier nicht zwingen, DDs Schreibweise verteidigen zu müssen.


also die sache mit der identität und der identitäts- und begriffslogik, die ja offensichtlich für adorno ein rotes tuch bzw. etwas zu kritisierendes zu sein scheinen, lässt mich irgendwie nicht los. was bedeutet diese invektive gegen die logik? irgendwie schwingt da doch eine irrationale komponente mit, oder sehe ich das falsch?

ich habe am anfang nicht umsonst heidegger angesprochen. bei heidegger geht es um das "sein" und das "wesen" (als verb) und ähnliche nicht hinterfragbare kategorien. heidegger's jargon ist zwar ein anderer aber ebenfalls ein dunkler, nur für eingeweihte nachvollziehbare. was bedeutet denn nun die nichtidentität und was ist so toll an ihr?

irgendwie scheint dieser dd-artikel doch nicht so uninteressant zu sein. vielleicht ist es auch nur die dahinter aufscheinende weltsicht adornos, die ihn interessant macht.


@der

Was ich nicht verstehe: Warum bringen Sie es nicht über sich, zwischen "der Welt des Nichtidentischen" und dem "nicht von Begriffs- und Identitätslogik geknechteten Anderen" etwas anderes zu sehen als nur eine tautologische Wiederholung dessen, was schon gesagt wurde. Was haben Sie denn gegen einen Hinweis auf einen Aspekt einer Sache, der sich möglicherweise nicht von selbst versteht?

DD sagt: Für Adorno ist Musik die Welt des Nichtidentischen.

Weiß der Leser, der Adorno nicht kennt, nicht gut kennt, sich an seine Adorno-Lektüre nicht mehr so gut erinnern kann, was mit "Welt des Nichtidentischen" gemeint ist? Nein, weiß er nicht. Also wird ihm von DD ein kleiner sachdienlicher Hinweis gegeben - und zwar auf das

"nicht von Begriffs- und Identitätslogik geknechtete Andere".

Jetzt hat der Leser schon ein wenig mehr Ahnung von dem, worum es bei Adorno geht: Aha, das Nichtidentische hat offensichtlich etwas mit einem bestimmten Verhältnis zu Logik und zu Begriffen zu tun und mit einem bestimmten Verhältnis zu Gewalt, Macht, Herrschaft, wie immer man das halt nennen will. Das Nichtidentische wird nicht geknechtet, und es wird von Logik nicht geknechtet, und diese Logik hat etwas mit Begriffen zu tun und mit Identität. Ja sicher, jetzt müsste man natürlich wissen, was das für eine "Knechtschaft" ist, was für Adorno "Begriffe" sind, was er über "Logik" zu sagen hat, welche Logik er damit meint, wie man auf eine Kategorie wie "das Andere" kommt und wie man dieser Kategorie, die ja eher aus der Identitätslogik stammt als aus dem Schwippschwapp der Nichtidentitäten, umgehen soll - aber immerhin, der Leser weiß jetzt schon ein wenig mehr. Jetzt könnten Sie natürlich einwenden: ätschbätsch, aus dem Begriff des Nichtidentischen geht doch eh schon hervor, dass das etwas mit Logik und Begriffen zu tun hat, und wenn der Diedrichsen sagt, dass man in der Welt des Nichtidentischen dem nicht von der Identität Geknechteten nahe ist, dann sagt er nur, dass ein Schimmel weiß ist. Aber wenn Sie diesen Einwand machen, dann behaupten Sie auch, dass man ohnehin nur wie Adorno denken kann, der halt denkt, dass Begriffe etwas mit Knechten zu tun haben und dass es ein Nichtidentisches geben könnte, dass der Knechtschaft durch die Ketten flutscht usw. Ich glaube aber nicht, dass Sie das behaupten wollen. Es gibt genügend Leute, die eine ganz andere Auffassung davon haben, was ein Begriff und eine Identität sind, und bei denen das zum Beispiel gar nichts mit irgendeiner Knechtschaft zu tun hat. DD hat doch lediglich etwas erläutert, was bei Adorno vorkommt. Für einen, der Adorno kennt, kann das ja wie eine analytische Aussage klingen. Es ist aber trotzdem keine.


fair enough. So aufgedröselt ist das ja halbwegs verständlich. Bleibe aber dabei, dass all diese Erklärungslast ein wenig viel für einen armen kleinen Satz ist, gerade für Adorno-Novizen.

Vielleicht war ich aber auch nur wieder zu sehr mit mir selbst identisch, als ich das gelesen habe. (urgh. Wenn ich doch nur Kalauern widerstehen könnte.)

Diese ganzen Adorno-Verweise hier regen aber doch mein Interesse an. Sollte mich damit mal befassen, gerade weil mir das alles so gefährlich nach Kategorienfehler klingt (Knechtschaft'', Begriffe'', ``das Andere'').


nur, damit keine missverständnisse entstehen: ich hab jetzt einen satz von dd aufgedröselt, der was über adorno geschrieben hat, ich hab nicht adorno aufgedröselt. so etwas wie "das andere" heißt bei adorno meistens anders, knechtschaft stammt von mir und bezieht sich auf das "geknechtet" bei dd. und ich befürchte ja, es ist ein wenig vergebene liebesmüh´, texten so etwas wie "kategorienfehler" nachweisen zu wollen, jedenfalls, es dabei bewenden zu lassen. da wären Sie zum beispiel in der kritik der reinen vernunft nach 50 seiten locker fertig. binnenlogik und so weiter: alles wichtig, unbestritten, müssen Sie mir nicht sagen. manchmal ist es nur so, dass die kategorien- und sonstigen fehler aus bestimmten gründen gemacht werden, und diese gründe haben einen guten grund. es geht übrigens auch andersrum. gucken Sie mal in den tractatus rein - und dann zu, wie dem herrn wittgenstein für den rest seines lebens das gut einsortierte, im logischen kalkül gebändigte auseinandergefallen ist. was für wittgenstein spricht, durchaus.


Übrigens, wenn auch im Grunde nicht erwähnenswert, hat der stets mit Freuden populistisch dumme Willi Winkler was abgesondert zu diesem Artikel in der SZ heute.