Claus Koch in der taz von gestern: Das Ende zahlreicher Räusche, ein Leitartikel, in dem sich recht, sagen wir: originelle Bemerkungen über Solidarität & die Notwendigkeit des harten Staates finden. Nein, das ist keine Satire, das ist ernst gemeint, so wie alle es ernst meinen, die sagen, was der Staat tun und wo er schneiden muss, Chirurgen überall, als gäbe es nur noch Ärztezeitungen. Herr Koch also, die Kursivierungen stammen von mir, aus den üblichen Gründen, Irrsinn im Irrsinn:

Nur noch Naive können darauf setzen, dass der Generationenvertrag, die vom Staat organisierte Zwangsorganisation, gebaut auf ungedeckte Schecks der Zukunftserwartungen, auch nur noch ein Jahrzehnt aufrechterhalten werden kann. Das bedeutet, dass der Staat immer öfter mit Steuermitteln einspringen wird, ohne doch das Steuer ganz in der Hand zu haben. Es wird ihm aber, zum Unwillen der Wähler, nichts übrig bleiben, als mit harten Direktiven einzugreifen, will er die unentbehrlichen Reste der organisierten Solidarität retten. Dafür muss er sich, weil er gegen einen Kranz von Interessen und Konsumegoismen kämpfen muss, stark machen.

Wenn es stimmt, dass rund die Hälfte aller Heil- und Pflegekosten aufs Konto von selbst verschuldeten Krankheiten geht, dann muss der Staat dort einen Schnitt machen. Wer sich im Skiurlaub ein Bein bricht oder beim Motorradrennen verunglückt, wer vom Riesenrad fällt oder sich vom Walkman das Trommelfell beschädigen lässt und dafür das Solidarsystem der Krankenkassen in Anspruch nehmen möchte, handelt asozial. Ihm muss die Solidarität verweigert werden, im Interesse der Vielen, die sich disziplinieren, um gesund zu bleiben und ihre Einkommensteuer bezahlen zu können.

Die zahlreichen Räusche, die sich die Massengesellschaft leistet und mit ihrem sozialschädlichen Konsum die Wirtschaft stimuliert, sind jahrzehntelang vom Sozialstaat begünstigt, ja direkt bezahlt worden. Wenn sich die Bürger diese Räusche versagen müssen, weil der Staat für die Folgen nicht mehr haftbar gemacht werden kann, wird es ein Riesengeschrei geben: von den Skiliftbetreibern und den Motorradbauern, von der Ferienindustrie und den Werften für die Vergnügungsschiffe der reichen Greise bis zu den Kliniken für die Entschlackung der unzähligen Überfetteten. Überflüssig würden Millionen von Arbeitsplätzen, die vom hilflosen Sozialstaat abhängig sind.

So ist es schließlich der Staat selbst, der die Entsolidarisierung der Bedürftigen betreibt, weil er von den unsolidarischen Verhaltensweisen der Konsumbürger aufrechterhalten wird.

So trifft sich das alles unter den Sachzwängen wieder: der Parasitenhass mit der Konsumkritik, die Disziplin mit der Gemeinschaft derer, die im Urlaub & der Freizeit keinen Scheiß bauen, die Schädlingsbekämpfung mit dem Normgewicht, die Volksgesundheit mit der Einsicht ins Notwendige, die Solidarität mit dem Ausmerzen derer, die sie nicht verdienen. Na dann.






boah ist das doof. ähnlich dämlich wie das krieg gegen irak is voll geil, ich würd da gerne gleich mitmach, doo-geschrei in der letzten jungleworld. zwar ganz andere baustelle aber gleicher beat. zum glück lese ich diese dixi-klo-pflichtblätter nur zufällig. schlimm genug.


Re: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert?

Auch wenn mich der Pamphletton nicht zum taz-Leser werden läßt, so finde ich eine Beschäftigung mit der Frage welche Risiken Krankenkassen absichern durchaus gerechtfertigt. Das heisst ja nicht, dass die beschriebenen Beispiele nicht versichert werden sollten. Aber so wie ich eine Hausratsversicherung mit oder ohne Wasserschaden nehmen kann - je nachdem ob ich mir das Risisko eines Aquariums leisten will - so könnte man auch z.B. bestimmte Sportarten als Extrapakete versichern lassen. Wer kein Auto besitzt müsste nicht unbedingt für das hohe Risiko einer Verletzung durch Autounfall anderer zahlen und wer (nicht krankhaft) übergewichtig ist kann gerne auch versichert bleiben - aber halt mit ein paar Euro weniger in der Tasche. Wenn es für gut verdienende immer mehr Möglichkeiten gibt mit ihrem Kapital und ihrer Arbeitskraft aus den Sozialsystemen auszusteigen, dann muss das Pflicht-Sozialsystem langsam auf ein Minimum reduziert werden. Anders wird es in Zukunft in einem vereinten Europa mit vielen finanziellen Schlupflöchern kaum gehen.


Ein System, das all diese wunderbaren Ausnahmen zu berücksichtigen in der Lage ist, dürfte in der Erstellung teurer kommen als die dadurch generierten Einnahmen.


Re: Re: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert?

Dann machen wir es doch dirket gleich einfacher und jeder zahlt seinen Mist selbst, solange er nicht ins Spital muss. Man zahlt desweiteren ein halbes Leben in eine gesundheitliche Altersversorung und ab 50 bekommt man dann die Chipkarte, mit der man zum Arzt gehen kann. Die gibt es dann in drei Ausführungen "Plan & Spar" (Ich weiß, dass ich nächste Woche eine Schilddrüsenüberfunktion habe, also gehe ich schon mal vorher zum Arzt), die "Normal" Version (Teuer, aber unabhängig) und natürlich die "deLuxe" Variante. (Sehr teuer, aber eine Brust-OP, bzw. eine Prostata-OP umsonst) In jedem Block gibt es einen Krankenkassenbeauftragten. Der passt auf, dass niemand plötzlich auf einem Motorrad sitzt oder raucht, oder mit einer McDonalds Tüte nach Hause kommt. Wenn er einen sieht, dann macht er Meldung bei der Krankenkasse und der Ertappte muss prophylaktisch 10% im nächsten Jahr mehr bezahlen. Man kann seine Beiträge aber auch senken, wenn man dem Krankenkassenblockwart berichtet, wenn man einem beim Rauchen bei den Mülltonnen erwischt hat. Das ist dann "Reinhaltung des allgemeinen Gesundheitskörpers".


Ne. Gutscheine. Gutscheine sind immer gut. Sagt schon der Name. Es gibt Bildungsgutscheine und Gesundheitsgutscheine. Jeder hat eine bestimmte Zahl von OPs, Therapien und dergleichen gut und bekommt Gutscheine. Wenn einer gesünder ist, kann er seine Gutscheine in einer Online-Börse meistbietend versteigern. Wer fünf OP-Scheine sammelt, kriegt ein Ersatzorgan.


Re: Re: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert?

das solidarischste, was der disziplinierte bürger gemäß der kochschen logik tun kann, ist suizid im leistungsfähigen alter. mann, ist das krank.


es ist der kalte blick des aussonderns. der blick, der nichts dabei findet, einen, der sich beim schilaufen das bein gebrochen hat, einen, der mehr wiegt als er nach den dekreten der jeweiligen apparate dürfte, einen, der sich das trommelfell beim walkman-hören schädigt, als asozial verdammt, ihm also zur krankheit noch eine moral mitgibt. es ist der geist, der solidarität (und das war mal ein wort mit dignität) nur jenen gönnen will, die diszipliniert genug sind, sich fit genug für die einkommenssteuer zu halten. es ist das kalkulieren: wer es verdient, repariert zu werden, und wer nicht, weil er zu nichts nütze ist.


Nein. Erst, nachdem die maximale Arbeitsleistung für das kapitalistische System, pardon, die Volksgemeinschaft, erbracht ist. Gebt dem Mann einen Therapiegutschein! Ausmerzen ist wieder in.


Re: Re: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert?

Ich fand die TAZ Artikel auch ueberzogen und im Ton haesslich ("wer vom Riesenrad faellt"). Aber wie gruban finde ich die Frage selbst OK. Ich fand gruban's Vorschlag zu Zusatzversicherung nicht schlecht, ich konnte es einfach nicht so schnell ausrechnen wie gHack, dass es "teurer kommen [wuerde] als die dadurch generierten Einnahmen."

Ein zusaetzlicher oder alternativer Vorschlag: Zusatzsteuern auf klar gesundheitsschaedliche oder risikoreiche Taetigkeiten: Rauchen, Alkohol, Schifahren, Automobilfahren, und andere, wo Unfalls- oder Krankheitsstudien diese Schaeden gut belegen koennen. Die Steuern wuerden den Krankenkassen zugute kommen, die Betraege so errechnet, das die geschaetzten(?*) Gesundheitskosten der Taetigkeiten in etwa bezahlt wuerden. Falls Krankenkassenpolitik wirklich zur Debatte steht, waere so etwas vielleicht akzeptabel?

Politisch realistisch waere natuerlich die naechste Frage.

*geschaetzt: ich will "estimated" damit sagen, nicht "prized."


@thomas:

I guess it depends on what Koch?s op-ed piece is really about: considering how to keep health insurance affordable or (as I think) mixing up economic considerations with blaming people for falling sick for the "wrong" reasons. Koch does not say: let?s take a closer look at the risks one does or does not take and build customised insurance policies around them. He states: everybody who takes risks transcending the aim of keeping your body fit enough for paying income tax, is anti-social, a parasite etc. and must not get anything out of his health insurance. Imagine you go hiking during your holidays and are bitten by a snake. Koch?s position would be: why didn?t you stay at home, your problem is self-induced, and by the way you are exploiting the solidarity of responsible citizens who don?t go hiking, so why don?t you fuck off and die....

Which gives a whole new meaning to the word "solidarity" Koch pretends to keep up...


And who is going to determine what constitutes an anti-social risk and what not? Lifestyles change.


nehmenwer mal an, der Koch bekäme dafür ein paar aufs maul:

nach seiner rechnung müßte er dann den arzt doch selbs bezahlen, oder?


Ne, weil:

Da gilt das Diekmann'sche Gesetz: Wir teilen nur aus. Einstecken sollen die anderen.


gibts auch prämien auf der austeilerseite

so als dienstleister irgendwie? wäre doch was neues in der dienstleistungwüste. dem koch box ich aufs auge und dem dieckmann ein tritt in seine nahezu unauffindbaren weichteile. das geld kommt ja wieder rein, wenn die ihre behandlungen zahlen...


Dipl. ass. kickr. Nett auf der Visitenkarte.