jammern hab? ich mir vorgenommen. Gar nicht so einfach. Jammern ist nahe liegend. Klagen erleichtert die Seele für einen Moment, wälzt ein wenig Last auf das Gegenüber ab. Mit dem nächsten Schluck Kaffee ist auch der Nachgeschmack verschwunden.

Standen mir fast die Tränen in den Augen, unlängst. Da stand in einer Personalanzeige "wenn sie nicht älter als 35 Jahre sind". Bin ich aber. Ein klein wenig älter nur aber eben keine 35 mehr. Mit 35 auf dem Arbeitsschrottplatz, wo ich dachte, eine fünf vorneweg heißt Angst haben müssen.

So arg wie momentan war es noch nicht. Ich kenne mehr arbeitslose als arbeitende Menschen. Mag an der Tunnelsicht liegen: alles Medienvögel, dotcomm-dropouts, schillerndes Gewerbe. Da draußen gibt es mehr als genug formal qualifizierte Menschen für alle angebotenen Jobs. Headhunter und Personalhuren werden überrannt von qualifizierten Überarbeitern mit perfekter Vita. Für bunte Quereinsteiger ist kein Unterkommen mehr. Meinen Lebenslauf kann ich mittlerweile in einer Viertelstunde auf ein ausgeschriebenes Profil frisieren. Macht keinen Unterschied. Techniker, Ingenieur hätte ich werden sollen. Oder wenigstens etwas mit einem SAP vorneweg.

"Burn-rate" erhält eine private Bedeutung: wie lange kommen wir durch mit dem kargen Angesparten? Wo kann man sparen? Am Ökokisterl mit dem Gemüse fürs Kind? Versicherungen kündigen, umziehen, nicht mehr Autofahren? Macht das Kraut nicht fett. Aldi und Öko geht gut, Schwarzfahren statt Autobahn auch. Und mit den V-Ausschnittpullis kommt man auch durch den Winter.

Alles wird immer gut erzähle ich den anderen Jammerern, wenn ich die Klagen nicht mehr hören mag.

Hey. Nicht mehr jammern. Versprochen.






V-Pullover

bei der Armee zog man im Winter, wenn bitterkalt, den blöden Pullover mit dem V-Ausschnitt einfach anders herum an.

Der Winter geht auch mal vorbei, denkt man. Die alte Wirtschaft braucht eigentlich auch Internet-Fuzzis, denn reingehen tun die schon, nun langsam. Was geht mit Admin?


Re: V-Pullover

mit Admin geht nixna. Wenn IT-Administration gemeint ist. Da hätte man einen Stapel MCS*-Scheine sammeln sollen. Selbst wenn man das könnte: als Arbeitgeber würde ich auch einen Spezialisten engagieren.


Keine Angst...

... das wird schon wieder werden. Ist nur eine Frage der Zeit!


Doch Angst...

Das ist momentan wirklich kein Spaß. Es gehen ja nicht nur die Medienlichter in Berlin aus. Das MAX Büro macht dicht, bei den Verlagen geht die Redaktionszumsammenlegungsmanie um. Rationalisierung um jeden Preis. Und durch den hohen Anteil an guten Journalisten, die sich auf dem freien Markt tummeln, sind die Honorare im freien Fall. Macht man es halt für weniger Geld, Hauptsache man hat den Auftritt. Und ich habe selten derartig viele Menschen getroffen, die nun ein Buch schreiben wollen. Die Verlage werden ztugeschissen mit Manuskripten, Exposees etc. Die Werbeagenturen, die auch wie blöde entlassen, profitieren davon, denn plötzlich bekommen sie Texte und Claims für 500 Euro, und können sie für ein paar Tausend weiter verkaufen. Zeilengeld wie in den 60ern. 20 Cent, oder mal (wenn mal Glük hat) ein Euro. So viel kann man gar nicht schreiben, um Leben, Krankenversicherung und Steuern zu finanzieren. Dabei habe ich gerade auch noch Glück und arbeite an einem größeren Internetrelaunch (Doch! Sowas gibts noch!) Aber selbst damit und ohne Familie sieht das Konto am Monatsende aus, wie die Wüste Gobi.

Ich kenne nicht nur Medienmenschen, aber bei kaum einem sieht es besser aus. Drei Freunden wurde zum Jahresende gekündigt. Der eine ist ein promovierter Biologe der im "Boom" Bereich Biotec gearbeitet hat. Die zweite ist Chefsekretärin, der dritte arbeitete im Reisebüro. Und alle wollen sparen. Kein Urlaub mehr, weniger Konsum. Mein Vater, der Anfang 60 ist, arbeitet seit 30 Jahren als Vertriebs- und Verkaufsleiter in der Baubranche. Denen geht es seit zwei Jahren so schlecht, wie er es noch nie erlebt hat. Und jetzt fällt die Eigenheimzulage weg. Auch da beginnen die Firmen, die Leute zu entlassen. Ich glaube, dass die Lage deutlich unterschätzt wird. Da kann man ruhig mal so lange jammern, bis es einem selber auf die Nerven geht.


dito

Man muss jeden Satz unterstreichen. (Habe nur das Exposé für das Buch noch nicht fertig ;-) Aber jammern hilft nur kurzzeitig, die eigene Psycho-Hygiene wiederherzustellen. Irgendwann wird einem auch das zu blöd.

Immerhin bekommt jetzt jetzt den Fluter, vielleicht hilft's ja herrn knecht.

Ansonsten: Warten auf 2004 ...


Re: Keine Angst...

... hilft ihm nicht, leider. jetzt war gestern, was morgen ist, steht im Trüben.


Re: Nicht mehr

es geht aber auch anders. meine frau, deutsche, lebt wieder in D, hat eine stelle im verkauf bekommen. seit jahren in D nicht gearbeitet hat sich nur einmal beworben. sie, ueber 50, bekam die stelle die sie wollte. bekam auch sofort eine wohnung. in HH jeder hat gesagt, so was gibt es nicht. chutzpah muss man haben - und geduld


v-ausschnitt?

kein rollkragen? dann kann das ja nix werden ;-) im ernst: es sieht nicht gut aus da draussen, aber fuer keinen. 2 businesse gehen noch, altenpflege(wenn man kann) und waffen(wenn man kann). vielleicht noch management, gehoben, aber dafuer haette man damals bwl studieren muessen und wer wollte das schon. es wird wieder, wie auch immer, 2 stufen unter dem, was wir gewohnt sind, aber immerhin.

@meise: das buch heisst "nieten in cargohosen" und kommt demnaechst raus.


Re: Nicht mehr

Das hat gerade erst angefangen.


Re: Re: Nicht mehr

meine Oma sagte immer "Ihr werdet noch mal froh sein, wenn ihr trockenes Brot habt." Ich dachte, laß die Alte nur reden. Neulich hab ichs erst zu meinem Sohn gesagt.


Re: Re: Nicht mehr

Man muss es relativ sehen. Arbeitslosengeld ist nicht viel, aber wenn man es bekommt ist es schon ok. Und wenn es allen schlecht geht ist man zumindest nicht alleine. Denkt an Afrika, an die 45 hier - es koennte schlimmer sein...

Patrick aus dem Coffee Shop


Re: Nicht mehr

Aber man braucht ja auch nicht mehr als einen Job. Einer langt schon. Keine einzige Ausschreibung der letzten 4 Wochen im Hamburger Abendblatt paßte auch nur ungefähr für mich. Aber diese Jobs (SAP-Kontrolleur) will ich ja auch gar nicht machen, und kann sie auch gar nicht. Man könnte auch die Kleider wegwerfen, nackt in den Fluß springen, und als irgendwas weiterarbeiten. So wie Mojud. Dummerweise bin ich ein Hasenfuß mit DB-Konto.


Recht so!

Vom Jammern wird nichts besser. Als Tele-Schreiber im Ausland könnte man Unternehmen unterstützen, die nach Deutschland drängen ... nur angesichts der Flaute ... wer will das schon?

Aber Jammern hilft nicht wirklich. Ich habe lange gejammert und habe immer wieder Rückfälle ... seit ich weniger bis selten Jammer sondern davon erzähle mit welchen Ideen ich die Misere angehe, geht es mir besser. Das macht sogar richtig Spass.

Als Kreative kann man sich auf vielerlei Arten durch's Leben schlagen. Toulouse Lautrec zeichnete sich für Revues durchs Leben ... Statt sich den Agenturen anzudienen ... rein mit der Nase beim Endkunden.

Der Zusammenschluss der freien mit fairen Regeln und Akquisestrategien ... et voila. Die Gewerkschaften entstanden damals in ähnlicher Manier. Es gab ein Problem und ein Machtausgleich musste her.

Als Kreativer sollte es doch nicht so schwer sein, sich ein paar nützliche Ideen auszudenken und an deren Umsetzung zu gehen. Wenn es ein neuer Pulli sein soll ... gehe man von Boutiquebesitzerin zu Boutiquebesitzerin und suche diese, die eine Publikation herausbringen möchte ... da bekommt man dann einen schönen Pulli ;o)


Andere Zyklen

Meine Eltern arbeiten im Sozialbereich. Selbständig. Sie konnten nie wirklich davon leben. Seit anderthalb Jahren geht es stetig bergauf, es bleibt richtig was übrig. Warum? Keine Ahnung. Jugendarbeit, falls es jemanden interessiert.


Re: Nicht mehr

... und dann lerne ich - Personalmanagement (nicht SAP-xxx. sondern xxx-Management gehoert die Zukunft! SAP-Manager sollen jetzt selig gesprochen werden...) und vernehme mit Erstaunen, wie aeltere, genauer Mitarbeiter ab 40! zu "managen" sind. Dass man ihnen Zeit geben moege beim Erlernen neuer Inhalte, dass sie in vormals ausgefuehrten Aufgabengebieten zurueckzufuehren sind, dass man sie behutsam auf den Ruhestand vorbereiten soll und ihren Arbeitsplatz dem Alter angemessen gestalten soll.

Was mache ich also? Einen woechentlichen Gespraechskreis einberufen, Rechner entfernen und Papier und Bleistift bereitlegen, l a n g s a m und vor allem LAUT reden, Bueros ins Erdgeschoss verlegen?

Vor allem eins werde ich machen, dass naechste Kapitel in meinem Studienbrief ignorieren, in der es um das managen von Frauen geht!

Ann