Heute bin ich fast totgefahren worden, zweieinhalb Stunden ist das jetzt her. Ein Auto, dass ganz plötzlich nach rechts ausschert, auf den Radfahrweg, das Sensorium merkt, dass das jetzt ganz knapp werden wird, man macht das Richtige, ohne dass man hinterher wüsste, worin das Richtige bestanden hat, wie die Oberschenkel sich anfühlen, ist es wohl ein Antritt gewesen, die Stoßstange, die das Hinterrad gerade nicht mehr streift, aber man bemerkt so etwas wie einen Windstoß, spürt den Beinahe-Zusammenstoß, den man logischerweise nicht spüren kann, irgendeine Verwirbelung, mag sein: nur in der Einbildung. Man bleibt stehen, will den Fahrer beschimpfen, bemerkt, wie erleichtert er ist, niemanden über den Haufen gefahren zu haben, und beschimpft ihn nicht, man schaut einander an, zwei Erleichterungen. Zweieinhalb Stunden danach noch immer die Erinnerung an die eine Zehntel- oder Hundertstelsekunde der Verwirbelung, eine "rein körperliche" Erinnerung (als ob es so etwas geben könnte), sehr seltsam. Das andere Mal, da ich fast gestorben bin, in jenem glücklichen Sommer auf Long Island, als mich ein Wellensog unvermutet nach unten riss, zwei, drei Meter, das Rückgrat gegen den Meeresgrund schleudernd, habe ich, elf Jahre später, immer noch im Körper gespeichert, eine kleine imaginäre Erinnerungsnarbe, zwei gedachte Wirbelerinnerungen zwischen den Schultern, es tut nicht weh, es ist nichts geschehen, aber man wird das nicht mehr los, so wie ich mich an die Berührungen mancher Frauen erinnern kann oder mir jedenfalls einbilde, mich an sie erinnern zu können, lass mich blind und taub werden und berühr mich wie damals und ich werde dir sagen können, wer du bist, Privatmythologie, man versucht ja nie, solche Hypothesen experimentell zu überprüfen. Und woher weiß man, dass man beinahe gestorben wäre, warum durchaus nur diese beiden Sekundenbruchteile - und durchaus nicht all die anderen, in denen es auch knapp gewesen ist, unaufhaltsam näherkommende Bäume, Autos & andere feste Objekte gab es ja viele?






und schon wieder hast du was oft drumherumgedachtes so wunderbar gesagt, dass ich es ausdrucken und einheften und aufbewahren will. tante grazie.


Das Heranrasen des Anderen, ruckweise eingeschrieben in den eigenen Herzschlag.


oh ja, jetzt erinnere ich mich ans eigene nachzittern, als ich das damals zum ersten mal gelesen hatte.


Ein nicht mehr kontrollierbarer BMW damals, geplatzter Reifen bei 170 km/h, Autobahn bei Göttingen, auf uns zu raste eine Betonbrückenwand. Rückfahrt Südfrankreich-Hamburg. Wir waren zu viert. Zehn Minuten vorher wäre eigentlich Fahrerwechsel gewesen. Dann wäre ich am Steuer gewesen. Dann wäre ich jetzt nicht am PC. Woher man das weiß... es sind Zeichen, die man sehen kann. Wenn man will.


Dieses merkwürdig abgeschottete Denken in so Momenten des Erschreckens. Dieses totale ausblenden des Bewußtseins. Man ist nicht mehr man selber, dafür hat man auch keine Zeit, man ist nur noch ein neuronaler Reflex, alles andere wird nach hinten gestellt, nicht wichtig, weg damit. Totale Entpersonalisierung.


ja, und obwohl das 25 Jahre her ist, noch heute gelegentlich dieses Gefühl, dieses so klare, wache - und wie bei einem Kind noch heute manchmal der Gedanke, ob das damals eigentlich wirklich gut ausgegangen ist... oder ... weiß nicht, ob das jemand hier versteht.


owl creek bridge

..., An Occurrence At, Ambrose Bierce (re: "ob das damals eigentlich wirklich gut ausgegangen ist")

Bin frueher im Jahr auch fast ueberfahren worden, "road rage" Typ, der auf mich beim Strassenueberqueren wartete bis ich fast direkt vor dem Auto war. Dann hat er(?) Gas gegeben. Fuehle heute noch, wie ich auf Zehenspitzen stehen musste um ihn Vorfahrt zu lassen. Und wie wuetend/erschuettert ich nachher war.

Nachher, im Polizeirevier: "ist doch nichts passiert." !


oh my god.


re: "owl creek bridge": Exactly. Thank you.


Frauenberührung, das Richtige

Erinnerungen an die Blechschäden, Roststellen, Angstmomente und Versicherungsfälle bei Frauenberührung.


guess, what they remember... and pbateman is a very dull nick.


Ich hatte in Berlin 1995 vor einer roten Ampel stehend einen Unfall, bei dem mir ein Post-LKW in fast ungebremster Fahrt auf meinen Polo aufgefahren ist. Der Fahrer hatte einfach geschlafen, mitten im Stadtverkehr. Ich wurde nach vorne geschleudert, reagieren konnte ich natürlich nicht, ich hatte bis zum Aufprall gar nichts kommen sehen. Gut, dass niemand sonst im Auto saß, denn mein Auto war bis genau an meine Fahrerrückenlehne zusammengewälzt. Die Polizei kam, eindeutige Sachlage, es wurde ein Abschleppwagen für meinen Schrotthaufen bestellt und man fragte mich, ob man einen Krankenwagen bestellen solle. Ich sagte fleißig und anscheinend überzeugend nein, alles klar, ich nehme die U-Bahn nachhause. Mich wundert noch heute, dass all die Menschen am Unfallort das einfach so hingenommen haben. Natürlich hatte ich einen Schock und ich hatte kaum die Wohnungstür hinter mir geschlossen, da klappte ich mit Riesenschüttelfrost zusammen. Nachdem das ausgestanden war, ging ich zu einem Orthopäden und Chiropraktiker, denn etwas stimmte nicht. Das Röntgenbild zeigte genau, wo ich den Schlag abbekommen hatte und der Arzt wurde selbst ganz blass und sagte: "So etwas habe ich noch nie gesehen, Millimeterarbeit, um ein Haar wären sie querschnittsgelähmt gewesen". Ich musste dann nur eine ganze Weile eine Halskrause tragen, konnte alles aber lange nicht fassen, stand bestimmt zwei Wochen sehr neben mir. Und, hier findet die lange Geschichte ihren Zusammenhang, die Stelle an der Wirbelsäule, auf die der Schlag getroffen ist, die kann ich auch noch heute spüren. Im übrigen habe ich dieses "präsente Gefühl" nicht nur am Körper, sondern auch an der Kreuzung, an der der Unfall passiert ist, ich fahre da gar nicht mehr gerne lang.


ich nehme mal an, da juckt es einigen in den fingern, eigenes dranzuhängen, weil das sich so einbrennt. ich hoffe, es langweilt nicht, wenn ich jetzt meins:

ich war nämlich nicht der in lebensgefahr gebrachte, ich war der, der leben gefährdete. zivildienst, ich auf fahrt mit krankenhauspräparaten im krankenhausauto, landstraße, kreuzung, ich muss links abbiegen, den von rechts übersah ich und der dachte, ich nehme die andere spur, aber so war es nicht, er weicht gerade so aus, rutscht an mir vorbei und ich seh in zeitlupe seinen kampf, wie er links und rechts rumschleudert, links auch noch so ne mauer, er immer haarscharf vorbei, gegenlenken, gegenlenken, noch zwei drei schlenker, dann kommt er zum stehen. ich nach dem schauspiel zehn meter dahinter rechts ran und voller schrecken. der typ steigt aus, rennt auf mich zu, ich mach das fenster runter, er heftig aufgeregt: "Alles in Ordnung?" - Ich: "---?" - Er:"Bin nur heilfroh, das nix passiert ist, issen Firmenwagen, Tschüss, alles Gute" und ab.


nein, es langweilt nicht. sowieso auch so eine seltsame erfahrung: wie viele andere menschen auch so geschichten zu erzählen beginnen, wenn man die eigene erzählt. als ich meine erste und (hoffentlich) einzige panikattacke hatte und in meiner umgebung allen davon berichtete, haben sicher 40 prozent mit ihren eigenen angstattackenberichten geantwortet, unglaublichen geschichten, und wie immer, diese merkwürdige erlöstheit des einander erkennens und einander ähnlichseins.


Eine Freundin von mir hat nach so einem Geschehen einmal mit dem Rad dann noch das Auto von Ampel zu Ampel verfolgt, auf den Fahrer eingeschimpft, an der Tür gerüttelt, auf das Dach geklopft. Rentnerpaar, stocksteif auf ihren Sitzen, nach vorne starrend.

Ich habe diese Momente nicht mehr so präsent, obwohl es doch einige gab, die haarscharf waren. Nur noch an den mich hinausziehenden Atlantik kann ich mich noch gut erinnern, weil ich da eine Stunde lang gekämpft habe, ans Land zu kommen.

Was mir mehr in den Knochen steckt beim Radfahren, ist der Tod zweier Kommilitoninnen. Eine von ihnen habe ich ein bisschen besser gekannt, aber dann aus den Augen verloren, und irgendwann sah ich die Todesanzeige an der Pinnwand und habe den ganzen Tag gezittert; später dann erfahren: LKW, Vorfahrt, Fahrerflucht. Ein oder zwei Jahre später die andere Frau, ich kannte sie flüchtig aus Seminaren, hatte sie ein paar Wochen vorher noch auf dem S-Bahnsteig gesehen und überlegt, wie sie heißt. Auch ein LKW. In beiden Fällen weiß ich auch ungefähr, wo es passiert ist, das sind jetzt so Punkte auf meinem inneren Stadtplan, die zu passieren oder an die zu denken seltsam ist.

Danach noch von einem schweren Unfall gehört, und dass das »mit Helm glimpflicher abgelaufen« wäre. Seitdem mit Helm unterwegs, ein komisches, wahrscheinlich falsches Sicherheitsgefühl, oft der Gedanke, im nächsten Moment vielleicht durch die Luft geschleudert zu werden und dann mit dem Helm auf das Pflaster zu prallen. Auch so Schicksalsgedanken, wenn ich den Helm mal vergesse oder nur mal schnell um die Ecke, ohne ihn aufzusetzen.