Gestern erst im vorletzten Profil das Interview mit Pim Fortuyn gelesen. Und sofort gedacht: Das ist der Typ, der es schaffen wird. Diese Sorte von Rechts. Konsumistisch, irgendwie liberal, das alte Yuppie-Programm ins Politische übersetzt. Nicht rassistisch, sondern gegen die Armen, die armen Fremden, das Dörflerische, Hinterwäldlerische. Hedonistischer Mittelschicht-Zweidrittel-Gesellschaft-Rechtsgrobianismus. Eure Armut kotzt mich an, so in etwa. Und er hatte Recht, dass er sich von Haider, Le Pen entschieden distanziert hat. Das war eine neue Sorte mit einer Markenidentität, die so gut ausgedacht war, als käme sie von einer Werbeagentur. Scheisse, dachte ich, das ist der Typ, der Haider immer sein wollte, das ist der Typ, der es geschafft hat, das Houellebecq-Programm ins Politische zu transformieren, das ist der Typ, den die in Airport Lounges und den Macchiato Bars alle wählen würden, wenn es ihn hier gäbe.

Irgendeiner wird es kopieren, in einem Jahr dann wieder, vielleicht erst in zwei Jahren. Aber der wird Wiedergänger haben, da bin ich sicher.






Reflexive Debilisierung

Irgendwas muss ja aus dem Soziologie-Studium hängengeblieben sein. Aus Le Bon wird Le Pen.


Simon le Bon?

der von Duran Duran?


Klingt bekannt

"Ich will einen starken Staat, der den Bürgern zuhört und die richtigen Dinge tut." Klingt obrigkeitsgläubig. Auch diese defensive Tour wegen Haider paßt dazu. Die pseudoliberale Tour hält der nicht lang durch, sieht man ja jetzt schon, was da drunter ist.

Bei Deinem Posting hab ich daran gedacht, wie ich vor ca. 15 Jahren zum ersten Mal den aufsteigenden Haider im deutschen Fernsehen sah, Talkshow oder Interview oder so. Ich wußte nicht, wer er war, und dachte nach dem ersten Eindruck: Das ist ein Yuppie. (Bisher hatte ich mit diesem glatten Wort nichts anzufangen gewußt.) - Inzwischen denke ich, das war seine glatte Verpackung, die schöne Visage, die Hülle, die auf dem Weg nach oben nützlich ist.


erstens:

ich glaube, du hast die nachrichten heute noch nicht gesehen, ich meine, wegen des präsens in deinem kommentar.

zweitens: ich weiß nicht allzuviel über p.f., aber ich denke, Du irrst Dich, was haider betrifft. der kam nun aus einer sehr rechten ecke, altes burschenschaftler-, kameradschaftsbund-, deutschnationalen-milieu, sehr unangenehm, und hat das dann in den mainstream hinein gepuscht, unter taktischen manövern noch und nöchern, aber das kommt immer wieder durch, bis hin zu seinen irakbesuchen und der ghadafi-connection, das sind halt wiederauflagen der alten antisemitischen koalitionen. p.f. scheint mir, bei allem, was ich jetzt gelesen habe, eher der typ zu sein, der so eine von vornherein modernisierte liberalistische rechte position verfochten hat, die radikalisierung der yuppie-konsumismus-verachtung gegenüber ausländern usw. das kam mir bei diesem profil-interview, auf das ich verwiesen habe, sofort viel zeitgemäßer als die haider-haltung vor - und deswegen viel gefährlicher.


So

Ja. Das ist die neue Brut. Haider ist eigentlich schon abgeheftet. Er riecht nach Mottenkugeln im Lodenmantel. Der neue Antibürger ist die Verkörperung der von den Rechtsliberalen der 80er Jahre gezüchteten Raubtiergeneration. Links ist nicht mehr Pop. Der radical chic ist rechts. So einen Fortuyn designe ich dir bei zwei Glas Rotwein während 30 Minuten Delirium in einer Hotelbar.


Haider

Ja, ich hab eben erst die Nachricht gelesen und deshalb nochmal hergeschaut, jetzt ist auch klar, was die Schlußbemerkung über die Nachahmer soll.

Ich meine im ersten Kommentar auch gar nicht Haiders tatsächlichen Hintergrund, den kannte ich damals ja gar nicht, sondern den ersten subjektiven Eindruck - da war von seinen tatsächlichen politischen Wurzeln nichts zu spüren, das kam in dem Moment nicht direkt rüber. Über Haider bin ich inzwischen gut informiert, über den Niederländer nicht. Und da kam eben die Assoziation, daß bei dem ebenfalls so einiges unter der Oberfläche.... aber das ist jetzt nicht mehr wirklich wichtig.


genau, airport lounges & macchiato bars

adam curry haette ihn gewaehlt.


Nicht rassistisch?

"Grenzen zu für Muslime", "Marokkaner beklauen keine Marokkaner", "gegen die Machtübernahme der Ausländer" und "gegen die Islamisierung unserer Gesellschaft". (vgl. hier) - Hallo, kannst Du gelegentlich mal Deinen Kriterienkatalog entstauben, oder ist der nach dem 11.09. abhanden gekommen?


ach männo,

du musst mir doch nicht jede lasche ungenaue wendung reinreiben, wenn du doch mindestens ahnst, worum es mir gegangen ist. natürlich IST der typ ein rassist gewesen. und zwar der schlauere. weil er seinen rassismus als modernisierungsprogramm reformuliert hat. der ist nicht gegen die marokkaner, weil sie marokkaner sind, sondern weil sie vom dorf kommen, arm sind, nicht "urban", nicht "mondän" genug, der hat seinen rassismus als schutzprogramm nicht für die reinheit der niederländischen gesellschaft, sondern die intaktheit des 80erjahre-modernismus verkauft, der hat sich nicht kompromottieren wollen mit diesem dumpfbacken-müll, den ein herr haider bei bedarf immer noch gerne zückt.

DAS ist das, was ihn für mich, nun ja, böse gemacht hat. gefährlich. abscheulich. und ich bilde mir schon ein, dass das rumkam.

was die maue formulierung nicht entschuldigt. ich sollte vermutlich nicht im zustand des halbschlafs schreiben. kriegste gleich eine auf die finger. ich schätze, das hab ich verdient.


das ist doch das praktische und schöne an weblogs,

daß man auch im zustand des halbschlafs schreiben darf.


bin schon gespannt,

wie die (deutschen) medien die homosexualität fortuyns verwursten. er hat sich ja offen dazu bekannt, was in holland vielleicht kein so großes problem darstellt, aber der ganz rechten wählerschaft bestimmt nicht gefallen hat. wahltechnisch keine ungeschickte kombination: ein offen schwuler, kultiviert wirkender salonvolkspopulist, dessen wähler sich fortschrittlich vorkommen könnten, nur weil sie einen homosexuellen wählen. das ganze rechte programm kann man dann guten gewissens mitwählen. auch interessant (zum thema minderheiten und rechtspopulismus): algero- und maroc-franzosen, die le pen gewählt haben.


Nicht so verwunderlich, das mit Le Pen

Das ist in Österreich mit Haider auch so. Denk nicht, den wählen nicht auch Wähler, die aus der Türkei oder aus Jugoslawien stammen. Und zwar paradoxerweise nicht trotz dem ausländerfeindlichen Element, sondern deswegen.


Urbanität vs Pronvinzialisierung

Ich kann Dir in den meisten Punkten völlig folgen. Nur in einem bin ich im Zweifel: Ob ein guter Schuss Urbanität (gegen Provinzialisierung) wirklich so bedenklich ist. Bis jetzt war ich da genau gegenteiliger Meinung. In Wien ist es nicht mehr so, dass Leute vom Land für den Besuch in der Stadt die Tracht ablegen, sondern die Städter werfen sich in Loden und Jägerleinen. "Die Verwaldung Österreichs" oder so ähnlich hat das ein Schriftsteller (hach, wer war das noch, Joseph Roth?) genannt.

Ich assoziiere Urbanität schon immer mit Fortschritt, mit Modernität. Dass diese unterschiedliche Richtungen haben kann, nämlich welche, die menschenverachtend sind und welche, die möglichst alle Menschen an den Segnungen des Fortschritts teilhaben lassen, ist auch wahr. Urbanität bestimmt noch nicht allein Xenophobie, Armutsverachtung. Das finde ich viel verankerter in der Provinzialität.


gute güte

dann sind diese trachtenfuzzies alteingesessene wiener aus den inneren bezirken?

und: wird jetzt der punkt angesteuert, an dem wir eh nur wieder sagen können: an sich ist urbanität, fortschritt, modernität nichts schlechtes, und xenophobie oder armutsverachtung lassen sich daraus nicht ableiten?

bei der ausstellung "flash afrique" waren auf einigen bildern arme (bettler, obdachlose etc.) abgebildet. dazu wurde erklärt, dass diese in den afrikanischen städten zum stadtbild gehören und dort integriert und akzeptiert sind. aus wien werden sandler zur hauptsaison mit bussen rausgekarrt, hört man...


urban und so

was mich betrifft, ich bin für so viel urbanisierung wie möglich, schon weil ich die provinz gut genug kenne und aus ihr bei der ersten sich bietenden gelegenheit geflohen bin. es gibt vielleicht aber zwei modelle des urbanen: die des hafens, den man anlaufen kann, und die der zwingburg, die die zugbrücken hochzieht. der niederländische herr wollte das zweite haben.

was die trachtenfuzzis aus der innenstadt betrifft - das ist, glaube ich, eine politische retro-mode. bis in die 80er hinein haben övpler - die die stadt, das rote wien immer verabscheut haben als sodom und gomorrha - am liebsten loden getragen. es gibt darüber auch ein dradiwaberl-lied, an das ich mich dunkel erinnern kann, in dem es um einen "lodenfreak" aus der innenstadt geht, oder so ähnlich. das kommt jetzt wieder, seit blauschwarz die macht hat und die pfarrer wieder viel zu sagen.


Verslummung und die Tracht

Tobi, da muss man schon fein trennen: Zwischen Provinzialisierung, die ich bedenklich finde, weil sie über eine "politische retro-mode" den Zeitgeist auf eine mir nicht willkommene Art beeinflussen wollen, und der Armut in der Stadt muss man unterscheiden.

Natürlich gibt es Verslummung und Armut hauptsächlich in der Stadt. Klassisch und in Massen ist es doch so, dass Bauern, die ihr Auskommen nicht finden, in die Städte ziehen und dort aber nicht zu Arbeit und Brot kommen (siehe Amerikas, Naher Osten, Afrika und wahrscheinlich überall). Armut gibt es auch auf dem Land, aber es ist immer ein bisschen was anderes: Wegen der ländlichen Lebensformen, aber auch den kleinen Nutzgärten, die immer noch mehr abwerfen als der Großstadt-Asphalt. Das heißt aber noch nicht zwingend, dass die Urbanisierung die Armut schafft.

Und was Praschl über die Zwingburg schreibt, leuchtet mir ein. Wobei ich das ja fast verstehen kann, wenn auch aus völlig anderen Motiven als Pim Fortuyn. Ich finde nämlich die Retro-Mode wesentlich alarmierender als Du. Für mich ist das so ein Triumph-Zeichen, mit selbstgefälligem Spott getragen, das schreit: Siehst, wir haben's sie euch gebracht, die Verwaldung, das "anständige" Österreich.

Parallelle: In dem Jahr, in dem ich in Israel gelebt habe, hat gerade Netanjahu die Macht übernommen. Und ich fand, es gab viel mehr von denjenigen, die "gestrickte kipot" trugen, was meine links-profanen Freunde gestört hat. Ich hatte den Vergleich nicht so stark, weil ich immer nur monateweise in "Rabin-Israel" war. Aber die, die dort lebten, sagten mir, viel mehr trügen ihre national-religiöse Überzeugung, deren Manifestation eben ein bestimmtes Outfit ist, nun offener zur Schau mit einer Attitüde des Oberwassers. Und genauso kommt mir die Ländlermode in Österreich vor.


ich finde die niederträchtige vertrachtung der wiener modegepflogenheiten wahrhscheinlich deshalb nicht alarmierend, weil ich sie nicht wahrnehme (was wohl darauf zurückzuführen sein könnte, dass ich in anderen bezirken umherschweife).

sollten wir aber nicht trotzdem fragen, warum massenweise landbevölkerung in die stadt übersiedeln? ich bin mir nicht sicher, ob das alle gern und freiwillig tun...

bei dem motorradkurs, den ich letztes wochenende mit ein paar schrammen absolviert habe (eine art "sei dein eigener star in deinem eigenen 'hundstage' film"), war auch eine frau, die auf dem land (nah der grenze zum ausland) keine arbeit mehr finden konnte. daher zog sie wohl oder übel nach wien. sie meint nun, eben die ausländer seien daran schuld, dass sie hier sein muss und nicht in ihrer ländlichen heimat bleiben konnte.

vielleicht hat ja die verstädterung an ganz anderen topo- und soziologischen rändern auswirkungen, die "wir in der stadt" nicht einmal wahrnehmen können?


vielleicht

ist es auch eben so einfach, dass man nicht schon dadurch, dass man in der stadt lebt oder arbeitet, haltungen gewinnt, die unsereiner als urban/modern/fortschrittlich bezeichnet. und ansonsten sage ich nur: pendlerströme. sollte man nicht vernachlässigen. was dadurch fürne soziale spannung entsteht, wär wirklich mal bedenkenswert.