Donnerstag, 21. Dezember 2000

Eine andere Frage. Hier ist das eine und das andere Mal vom Ziel gesprochen worden, von Kapitaleinkünften, also arbeits-los zu leben (der herbeigesehnte exit, 2 Millionen nach Steuern). Bedeutet das: dass sich keine "Arbeit" (jedenfalls keine bezahlte, das Leben finanzierende) mehr vorstellen lässt, die es wert wäre, länger als ein paar Jahre auf sich genommen zu werden? Und wenn das so ist: was sagt uns das, über die Gesellschaft, die Ökonomie, die Arbeit, die man in ihr machen könnte, und die Bedingungen, unter denen man sie machen kann?





Warum Sidney, hat Jan Morris, von dem die großartigsten armchair traveller-Bücher ever stammen, in seinem Buch über Sidney (leider out of print, aber ich verleihe meines) beantwortet: Er sieht in Sidney "not the most beautiful (city)...but the most hyperbolic, the youngest in heart, the shiniest."

Was noch für Sidney spricht:

  • Es ist eine Einwandererstadt. Die Immigration kam in mehreren Wellen: Italiener, Griechen, seit den 80er Jahren vorwiegend Asiaten. Eine Zeitlang war es die offizielle Politik der australischen Regierung, zu einer multikulturellen Nation zu werden, mit deutlicher Tendenz zum Asiatischen - gegen das Weisse, auf Europa Zentrierte. Eine Art nation building-Identitätsprogramm, das in den 90ern durch den Druck der alteingesessenen Weissen dann leider wieder kassiert wurde. Diese verschiedenen Schichten, Jahresringen vergleichbar, merkt man. Nirgendwo sonst, wo ich war, gab es so wahnwitzige fusions und Hybride wie in Sidney. Essen zum Beispiel. Während die meisten guten Küche ja den Versuch unternehmen, eine bestimmte Küche gut zu beherrschen, gibt es in Sidney eine ganze Legion von fusion cooks, die europäisch, australisch und asiatisch auf eine Weise kombinieren, die auf der Speisekarte erst einmal verrückt wirkt, beim Essen eine Entdeckung ist. (Falls Ihr in der Stadt seid, besucht unbedingt die Sailor´s Thai Canteen, das beste und stylisheste Restaurant, in dem ich je das Glück hatte, essen zu dürfen....).

  • Es gibt einen hohen SchwulenUndLesben-Anteil. Ein Wohlfühlgesetz meines Lebens lautet: Ich werde in Städten, in denen es viel entspannte Homosexualität gibt, nach spätestens 10 Sekunden glücklich - obwohl ich eine langweilige, entschieden monogame, entschiedene Hete bin. Keine Ahnung, woran das wieder liegt - vielleicht nur daran, dass solche Städten logischerweise liberaler sein müssen; vielleicht aber auch daran, dass SchwuleUndLesben einfach den besseren Geschmack haben und in Städten leben, die es verdienen, dass man in ihnen lebt - ich habe halt zufälligerweise auch keinen schlechten Geschmack. Wie auch immer: San Francisco, Amsterdam, Sidney haben sofort geknallt.

  • So viel Meer in einer einzigen Stadt kann man gar nicht glauben. Sidney ist in Wahrheit keine Stadt, sondern eine einzige riesige Vorstadt (Sidney ist doppelt so groß wie Peking und sechs Mal so groß wie Rom). Das liegt daran, dass der Sidneysider es nicht ertragen kann, wenn er nicht in unmittelbarer Nähe des Meers wohnt - und deswegen ein kleines Einfamilienhaus zwanzig Kilometer vom Zentrum entfernt jederzeit einem Loft in einem Wolkenkratzer vorzieht. Ich glaube, ich habe einmal gelesen, dass 90 Prozent aller Bewohner einen Fussweg von zehn Minuten zum Meer haben. Wenn man da ist, sieht man vor allem: suburbs, die sich in die Buchten schmiegen, meilenweit. Und am Ende aller Strassen glitzert Wasser.

  • Wenn man Surfer wäre, fände man tagtäglich Wellen, von denen man sich gerne abwerfen lassen würde.

So ist das mit Sidney. Da möchte man gleich wieder hin. Und nicht mehr weg.